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Interview: SERENITY
Titel: Auf den Punkt gekommen

Was im Jahre 2001 noch als dezent progressiv angehauchtes Melodic Metal-Schaffensmanifest von einigen Nachwuchsmusikanten begann, das zeigt die Musiker von Serenity nun auf dem vorläufigen Zenit ihres Wirkens.

Denn das neue Studioalbum „Fallen Sanctuary“ ist ein Symphonic Power Metal-Hörererlebnis von seltener kompositorischer Klasse und damit hochgradig genussvoller Homogenität. Und dabei zaubern die vier gleichfalls talentierten wie auch technisch präzisionssüchtigen Tiroler Instrumentalisten um den wahrlich gigantisch befähigten Vokalisten Georg Neuhauser aktuell eins ums andere Mal. Denn was diese erlesen spielfreudige Könnergruppe für fabulös erperlende Melodie-Kaskaden aus ihrem monumentalen kreativen Füllhorn herbei zu hexen scheint, kann wohl nur als hypnotisch faszinierende Klangmagie bezeichnet werden.

Orgiastisch ausufernde Edel-Kapriolen auf dem digitalen Tastenkasten sind seine ganz besondere Spezialität, und dass er trotzdem auf dem Boden der Tatsachen geblieben ist, offenbart mir Keyboarder und Hintergrund-Sänger Mario Hirzinger.

„Wir eifern ja niemandem direkt nach, aber ich sage es mal so: Eine Vorbildwirkung für Serenity hat die Opulenz von Kamelot oder Nightwish, die Songwriting-Kunst von Evergrey, die Eleganz von Threshold oder die Stimmgewalt der Chöre von Queen. Wir hoffen aber doch, mittlerweile einigermaßen eigenständig unterwegs zu sein. Zumindest entwickelt sich jeder Song von uns ohne Schablonen“, gibt der versierte Stromorgel-Meister unbekümmert preis.

Im Metal-Bereich lauscht der fingerfertige Mann jedenfalls auch so einigen Substilistiken:

„Vor allem mag ich Power-, Prog-, (Melodic) Death-, Folk-, Gothic-, aber auch hin und wieder ein wenig Black Metal und Metalcore inklusive vieler Mischvarianten. Ansonsten finden sich in meiner Sammlung auch Sachen wie Live, Alter Bridge, Spock's Beard, Chroma Key, Abba, Heroes Del Silencio, Spiritual Beggars und sogar Genesis. Die Liste ist inzwischen echt lang. Richtig geprägt als Musiker, falls man so sagen kann, haben mich in den letzten Jahren Bands wie Evergrey oder Mercenary, also Truppen, wo Härte, Melodie und Gefühl denselben Stellenwert haben und welche extrem fähige und songdienlich agierende Keyboarder in ihren Reihen haben.“

Die Kooperation der Musiker innerhalb der Band läuft bislang im Großen und Ganzen sowieso gut, wie zu erfahren war. Mario gibt sich darüber sichtlich erfreut: „Mein Gott, es gibt immer wieder das eine oder andere kleine Hickhack, jede Band kennt das sicher. Aber der Umstand, dass wir nun seit über vier Jahren ein stabiles Line-Up haben und eigentlich richtiggehend `zusammengewachsen` sind, hat zur Folge, dass uns kleine Meinungsverschiedenheiten nicht aus der Bahn werfen. Man kann sagen, wir ziehen alle am selben Strang, wenn auch nicht jeder immer gleich stark. Vielleicht liegt das auch daran, dass wir abseits der Band nicht ständig `aufeinanderpicken` - picken, österreichisch für kleben – und dass wir fünf total unterschiedliche Charaktere sind, die sich optimal ergänzen.“

Letzteres Statement ist gleich doppelt interessant: Jetzt verstehen bestimmt nicht wenige Leser auch die wahre Bedeutungsherkunft der so genannten „Pickerl“ im heimatlichen Maut-Bereich der Combo, welche man sich beim Befahren der Autobahnen in der Alpenrepublik ans Autofenster zu heften hat.

Wir gehen zur neuen Veröffentlichung „Fallen Sanctuary“ expliziter in die Tiefe: Dazu steht nämlich die Frage im Raum, ob die fünf Tiroler dafür wohl eine Überdosis an Kreativitäts-Pillen geschluckt haben – oder wie soll man sich als Hörer diesen qualitativen Quantensprung nach oben sonst bitteschön erklären? Mario scherzt ausgelassen:

„Nix mit Pillen! Bei uns geht das mit `Original Wüdschnaua Krautinga`! [Der `Krautinger`, eine deftige Spirituose, ein Rübenschnaps der aus der Weißen Stoppelrübe, aus dem österreichischen Bundesland Tirol, genauer gesagt aus der dortigen Region Wildschönau; A.d.A.] Spaß beiseite – in Wahrheit ist es so, dass wir uns ob des ständigen zeitlichen Druckes wegen lange nicht sicher waren, überhaupt zwei Hände voll guter Nummern schreiben zu können. In dieser Hinsicht geht viel auf die Kappe von unserem Gitarristen Thomas, der sich seine Ideen manchmal geradezu aus dem Ärmel schüttelt – er hat auch circa 80 % der Songgrundlagen für `Fallen Sanctuary` geschrieben. Hinzu kommen noch Produzent Jan Vacik, der uns neben den Bass- und Schlagzeugaufnahmen beim Arrangieren in den Dreamscape-Studios in München geholfen hat sowie Everon-Sänger Oliver Philipps, ohne dessen massiver und trotzdem extrem filigraner Orchester-Breitwand unsere neue Scheibe weitaus reduzierter klingen würde.“

Ich erkundige mich im Zuge dessen nach dem Grund der Band, für das neue Meisterwerk eher in Richtung Symphonic Epic Power Metal zu gehen, merklich weg von der progressiven Schiene.

„Wir waren eigentlich ja nie so richtig progressiv, jedenfalls für europäische Verhältnisse. In den USA geht das, was wir machen, schon eher als Progressive Metal durch. Unsere Maxime vor und beim Songwriting war diesmal, die Lieder kompakter und schneller auf den Punkt kommend zu gestalten. Sozusagen `Ballast abzuwerfen` und mehr auf den Fluss der Lieder zu achten. Der Grund für diese veränderte Herangehensweise also: Die neue Scheibe sollte einen einfach eher und intensiver `packen` und ich glaube, das haben wir erreicht. Und wie schon vorhin erwähnt, die Nummern profitieren einfach von den Verbesserungen, die Jan und Oliver vorgenommen haben; auch, wenn uns vorerst viele Vorschläge seltsam und unnötig vorkamen.“

Trotz allen genannten Modifikationen im kreativen Konstrukt sind die musikalischen Ziele von Serenity nach wie vor dieselben: „Wir wollen Menschen gut unterhalten und relevante, einprägsame Musik erschaffen. Natürlich ist der Bombast- beziehungsweise `Cinemascope-Faktor` gewachsen, vor allem live wollen wir eben jedem eine tolle Show bieten. Musikalische Interessen verändern beziehungsweise verlagern sich ja laufend, es ist aber schwer einzugrenzen, inwieweit dies Einfluss auf den Serenity-Sound an sich hat. Eines kann ich trotzdem immer ganz fix dazu sagen: Unser privates Hauptinteresse wird höchstwahrscheinlich wohl ewiglich beim Metal liegen, begleitet von erlaubtem und notwendigem Gucken über den Tellerrand. Es kann sein, dass auf der nächsten Serenity-Scheibe somit auch ein paar rauere und rockigere Töne zu hören sind.“

Gestartet haben die ambitionierten Tiroler die Aufnahmen zur neuen Scheibe Anfang Dezember 2007 in Jan’s Studio mit den Schlagzeugaufnahmen: „Dann haben Thomas und ich jeweils zu Hause die Festplatten zum Rauchen gebracht. Irgendwann im Februar 2008 war dann der Bass an der Reihe, erneut im Dreamscape Studio, bevor dann Georg in vier Etappen den Gesang bei Lanvall [Edenbridge-Gitarrist und Songwriter; A.d.A] in Linz aufnehmen konnte. Oliver Philipps kreierte die Orchester-Passagen im Spacelab Studio ebenfalls im Februar, Mix und Mastering bei Jacob Hansen zogen sich dann noch bis Anfang April des Jahres hin. Viele Orte, viele Menschen, aber trotzdem ein kompaktes Ergebnis. Für diese Scheibe war dies die ideale Arbeitsweise, vor allem Kosten sparend durch die `Heimarbeiten`. Ich meinerseits war allerdings öfters der totalen Verzweiflung nahe, wie vorhin kurz erwähnt. Bei der nächsten Aufnahme ist dann hoffentlich das Kleingeld für einen neuen Rechner da“, hofft Mario.

Und mit dem vorliegenden Endresultat ist die gesamte Band sehr zufrieden: „Außer, dass der Track `Oceans Of Ruby` noch eine Überarbeitung unsererseits vertragen hätte können, würde ich, auch in Vertretung meiner werten Kollegen, keine Kritikpunkte anführen. `Oceans Of Ruby` wurde aber von Oliver glücklicherweise noch `gerettet`. Wir sind wirklich sehr zufrieden mit der Platte, haben sie mittlerweile mehr als oft aufgelegt und können die Songs immer noch hören. Ein gutes Zeichen!“

Hört man die immense Vielfalt der neuen Platte von Serenity, kommt wohl unweigerlich die Frage nach Einflüssen und Inspirationen für solcherlei Variantenreichtum auf – wir erfahren dazu vom Keyboarder: „Auf der letzten Tour haben wir im Wohnmobil während unserer `Ladinerer`-Runden, ein Kartenspiel, sehr oft `Dark Passion Play` von Nightwish gehört, dessen orchestrale Wucht uns ziemlich beeindruckt hat. Es war also sicher unsere Intention, dieses Element auch bei unserer Platte verstärkt einzubauen. Außerdem gefallen uns schon lange die sehr eingängigen aber doch nicht platten Refrains und die modernen Synthie-Sounds von Mercenary – auch wenn man es nicht bewusst heraushört, haben wir beim Schreiben der Songs in diese Richtung gedacht. Und Georg wollte ja schon immer Queen-artige Chöre dabeihaben, jetzt hat er dieses Ziel erreicht.“

Unser Dialog bewegte sich nachfolgend in Richtung der neuen Liedertexte beziehungsweise woher das Interesse an den lyrischen Themen der neuen Lieder stammt.

„Grundsätzlich: Ich lese sehr viel, denke über viele Sachen nach - manche Menschen meinen, zu viel - und lasse mich von allem Möglichen inspirieren. Daher habe ich kein Problem damit, 90 % der Song-Texte zu verfassen, außer, wenn es mal gar nicht gut läuft und nur Schwachsinn aus dem Kuli zu fließen scheint. Erneut sind die Lyriken, wie schon beim Vorgänger-Album `Words Untold & Dreams Unlived` ein buntes Sammelsurium an Themen. Bei `All Lights Reversed` habe ich eine Passage aus `Endymion` von Dan Simmons verarbeitet – eines meiner absoluten Lieblingsbücher. `The Heartblood Symphony` hingegen basiert auf `Die Kinder des Wüstenplaneten` von Frank Herbert. `Rust Of Coming Ages` behandelt kritisch die Technikverliebtheit und -gläubigkeit der Menschen, während `Coldness Kills` ein sehr persönlicher Text ist. `Oceans Of Ruby` wiederum klagt Menschen an, die für Götter Gewalttaten vollbringen, und zwar aus der Sicht dieser Götter. Und `Fairytales` – von Georg selbst geschrieben – ist eine Ballade über eine verlorene Liebe. Wir wollen uns in dieser Hinsicht aber auf keinen Fall limitieren, es gibt noch so viel zu erzählen!“

Für das Front-Cover des neuen Albums zeichnet der Brasilianer Gustavo Sazes verantwortlich: „Man findet seine tollen Arbeiten unter www.abstrata.net – Aussage ist darin keine verborgen, es sieht einfach nur edel aus und macht sich sicher gut auf unseren neuen Shirts! Mir gefällt außerdem die Farbkombination blau/gold besonders gut.“

Im Jahr 2007 waren die Tiroler Symphonic Power Metal-Epiker auf drei Tourneen in insgesamt zehn europäischen Ländern unterwegs. „Die Headliner waren Morgana Lefay, Threshold und Kamelot, und das in dieser Reihenfolge. Für eine Newcomerband, denn das sind wir ja immer noch, ist das schon einmal nicht schlecht, denke ich. Das waren für uns als neue Band im Business ja richtige `Traumurlaube` mit Sightseeing und Freibier. Wir haben viele tolle, freundliche und verrückte Menschen, nette Mädchen und Kraftausdrücke in diversen fremden Sprachen kennen gelernt und nebenbei noch - fast - jeden Tag Musik gemacht. Rockerherz, was willst du mehr? Im diesjährigen Herbst sollte ja wieder eine Tour stattfinden, wir wissen dazu aber noch nichts Genaues. Auf jeden Fall steigt Anfang Oktober im `Komma Wörgl`, unserem `Heimat-Club`, die Album-Release-Party – da werden wir in der Zwischenzeit wohl noch ganz schön transpirieren im Proberaum, denn von den neuen Stücken haben wir erst zwei Stück live auf der Bühne gespielt. Für September und Dezember sind außerdem noch zwei Auftritte in Osttirol fixiert, darauf freuen wir uns auch schon.“

Sonstige Ziele für das Jahr 2008 sind laut Aussage von Mario bereits gesteckt: „Wir wollen primär mit der neuen CD bei den Fans weltweit gut ankommen, dabei die Verkäufe des Debüts überbieten und am Jahresende die Hälfte der Songs für die dritte Scheibe in der Grundstruktur beisammen haben. Sowie eine gute Tour erwischen und auf vielen Bühnen die viel gerühmte Sau rauslassen! Und hoffentlich im Oktober wieder in Städten spielen, in denen es um die 25 Plusgrade hat.“

© Markus Eck, 20.07.2008

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