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Interview: RÊVERIE
Titel: Von düsterer Ästhetik

In der schaurig schönen Schnittmenge aus den musikalischen Signifikanzen von erfolgreichen düsteren Gesandtschaften wie Eisregen, The Vision Bleak und Eden Weint Im Grab besteht das künstlerisch sehr tragfähige Podium, auf welchem sich diese verheißungsvollen Dark Metal-Newcomer mit einem gehörigen Aufbau an kontemplativer Nachdenklichkeit, entrückender Poesie und entwaffnend abgründiger Prosa breitmachen.

Auch Fans von Unheilig werden sich da oben gewiss gerne dazustellen. Doch von belanglosen plagiatorischen Anwandlungen ist man hier weit entfernt.

Denn hinter dem Quartett Rêverie steht der 20-jährige Multiinstrumentalist und Mastermind Max Leonhardt, welcher diese sehr interessante Vereinigung einst als Soloprojekt gegründet hat. Er hob diese neue viel versprechende Dark Metal-Band also quasi aus dem dunkelromantischen Taufbecken.

So setzt Leonhardt auf dem aktuellen Debütalbum „Wandel“ also vor allem eindeutig auf seine ganz individuelle persönliche Handschrift, was das kompositorisch erfreulich eigenständige Songwriting von Rêverie anbelangt.

Ziemlich seltsam mutet der Fakt an, dass es im Netz bislang offenbar noch rein gar nichts zu Rêverie zu finden gibt … Max nennt den Hintergrund:

„Da die Band als Soloprojekt gegründet wurde, war es mir wichtig, dass ich zuerst das gesamte Songmaterial schreiben und eine angemessene graphische Gestaltung entstehen konnte. Ich wollte, dass alles perfekt ist, bevor die Band im Internet platziert wird. Dieses Ziel ist nun erreicht, und Rêverie wird schon recht bald auch online sein.“

Die spezielle Rêverie-Musik lässt sich laut Ansicht des maßgeblichen Urhebers unter dem Begriff Dark Rock zusammenfassen. Er erläutert:

„Zwar sind die Songs sehr melodiös und harmonisch, jedoch sind auch Metal-Einflüsse auszumachen. Gothic Rock mit Metal-Note sozusagen. [grinst] Der Gesang ist sehr genau an die textlichen Inhalte angepasst, so dass die individuelle Stimmung jedes Songs besonders betont werden kann. Die Texte haben einen sehr poetischen, gedichtartigen Charakter und behandeln Themen wie Natureindrücke, menschliche Abgründe oder Vergänglichkeit.“

Noch mehr informativ erhellendes Licht kommt nun ins nebulöse Dunkel:

„Gegründet wurde die Band von mir allein, also als Solo-Projekt, Anfang des Jahres 2010 in Münster, Westfalen, mit dem Ziel, tiefgründige, poetische Musik mit düsterer Ästhetik zu schreiben. Ich war es auch, der die Songs komplett selbst geschrieben und getextet hat. Ich habe die Stücke dann in zwei Sessions, eine im September 2010 und eine im Juli 2011, komplett selbst eingespielt und vorproduziert. Allerdings war von Anfang an der Wunsch vorhanden, Rêverie möglichst bald auf die Bühne bringen zu können. Ich machte mich also auf die Suche nach Musikern, die meine Musik live mit mir spielen würden und fand drei Mitstreiter, mit denen ich mich nicht nur musikalisch, sondern auch freundschaftlich verbunden fühle. Das Line-Up lautet nun: Max Leonhardt (20) - Gesang, Gitarre; David Aaron Mrohs (22) - Lead-Gitarre; Niels Luft (20) - Bass und Martin Nigbur (24) - Drums.“

Bei dem Zwielicht-Vierer dominieren laut Max‘ weiterer Bekundung düstere Ausstrahlung und poetische Texte. „Alle Texte sind um das Thema Wandel herum angesiedelt, was ja auch der Name des Albums ist. Wir haben es aber nicht mit einem Konzeptalbum zu tun, jeder kann seinen eigenen Sinn in die Texte interpretieren. Die Texte haben allesamt eine starke Metaphorik, sie lassen sich daher nicht ,flach‘ lesen. Hinter alldem steckt eben noch mehr, ein tieferer Sinn, den jeder für sich finden kann. Oftmals werden Gefühlswelten bei Rêverie durch bildliche Darstellungen ausgedrückt, so zum Beispiel durch Naturthemen oder Erlebnisberichte. Gefühl und Atmosphäre stehen klar im Vordergrund. Das Ziel war, den Songs möglichst viel Atmosphäre zu verleihen. Meiner Meinung nach ist Atmosphäre das wichtigste in der Musik; das Erlebnis, von Musik hinfortgetragen zu werden, sich ganz in ihr verlieren zu können, in ihr zu versinken. Getrieben von dem Ziel, eine solche Atmosphäre zu schaffen, gründete ich Rêverie und schrieb die Songs!“

Seine Band, so der Mainman im Nachfolgenden, wird ganz in schwarz gekleidet auf der Bühne stehen. „Diese Garderobe strahlt eine gewisse Eleganz aus. Das letzte, was ich will, ist in zufälligen Klamotten irgendwie auf der Bühne zu stehen. Musik drückt so vieles aus, die Bühnengarderobe sollte das auch tun. Graphisch unterstützt werden die Auftritte von der Fleur de Lys, die ich zu unserem Zeichen gemacht habe. Und diese heraldische Lilie kann für viele Dinge stehen: Für Schönheit und Reinheit, aber auch für Vergänglichkeit. Sie unterstützt die Musik also perfekt.“

Apropos, vergangene Live-Aktivitäten haben die beteiligten Musiker zwar einige zu verzeichnen, jedoch nicht in solcherlei Konstellation. Max:

„Wir alle haben vorher in einigen anderen Bands gespielt und so einiges an Erfahrung sammeln können. Rêverie ist jedoch völlig neu. Im Dezember sind wir mit In Extremo auf Deutschland-Tour, 16 Konzerte in der ganzen Republik! Dann können wir uns endlich dem Publikum präsentieren und alles geben. Ich freue mich schon sehr darauf, mit lieben Freunden auf Tour zu gehen, viele neue Eindrücke zu gewinnen und immer neue Ideen zu haben. Wir sind gespannt und vor allem hungrig auf das, was kommt. Ich freue mich darauf, Rêverie wachsen zu sehen, mehr und mehr Auftritte zu spielen und vielleicht sogar auf dem ein oder anderen Festival erscheinen zu können. Ich freue mich darauf, Rêverie‘s Musik zu etablieren und den ein oder anderen Fan zu gewinnen. Ihr da draußen, wir kommen!“

Seinen letzten großen Schaffensrausch hatte der Mann Anfang Oktober in Berlin, wie er mir zu berichten weiß, als er zusammen mit Thomas Heimann-Trosien von Schandmaul und Letzte Instanz sein Album nachproduziert und abgerundet hat. Er freut sich noch immer: „Es war eine wunderbare, freundschaftliche Zusammenarbeit, zu der wir beide Unmengen an Ideen beigesteuert haben. Ich habe ohnehin eine Vielzahl an anfänglichen und auch weiteren Ideen wieder verworfen, weil sie meinem persönlichen Anspruch nicht gerecht wurden. Atmosphäre zu schaffen ist nicht leicht, zu viel hängt davon ab. Alle Anforderungen zu erfüllen, kann ein schwieriger Prozess sein.“

Sein persönlicher Rêverie-Lieblingssong ist ebenfalls eine Frage wert. Die Antwort erschallt voller Ambitioniertheit: „Abgesehen davon, dass ich alle mag, würde ich momentan sagen: ,Nebel‘. In dem Song geht es um einen Menschen, dessen große Liebe vom Nebel nach und nach verschlungen wird, so dass sie für ihn Vergangenheit und unerreichbar ist. Eine sehr traurige, stimmungsvolle Geschichte also. Ich persönlich habe immer eine besondere Affinität zum Nebel gehabt; er ist eine wunderbare, geheimnisvolle Naturerscheinung, der ich viele Ideen verdanke. Außerdem ist ,Nebel‘ eine meiner ersten Ideen zum Thema Rêverie gewesen. Der Song begleitet mich schon seit fast zwei Jahren.“

Das neue Debütalbum „Wandel“ kann den reizvollen schöpferischen Horizont der hörbar schwärmerisch veranlagten Sehnsuchtsgruppe bereits bis in den letzten Winkel dämmerstrahlend illuminieren. Die tiefe Melancholie, welche in Stücken wie „Mond“, „Ewigkeit“ oder auch „Sommer“ ohnehin schon steckt, wird von Rêverie mittels schwelgerischer Piano-Passagen und ergreifender Melodik noch massiv potenziert. Stimmungsvolle und nicht selten sehr anmutig wirkende Arrangements von oftmals gar berührender emotionaler Natur können eine ebenso durchdachte wie schlüssige Vorstellung krönen.

„Düstere Ästhetik kann eine unheimlich erfüllende und spannende Sache sein! Ich widme mein eigenes Schaffen dieser Seite der Kunst, da man so viel mit ihr ausdrücken kann, was sonst gar nicht mitteilbar wäre“, proklamiert der Geist hinter Rêverie.

Und Max zeigt sich als großer Fan mystischer Geschichten, Sagen und Kreaturen.

„Besonders die mittelalterlichen Mythen unserer Breitengrade haben es mir angetan. Es ist unglaublich faszinierend, zu sehen, was die Menschen damals geglaubt haben, was sie mit unheimlichen Orten verbunden haben, und sich dann selbst hinein zu versetzen.“

Anschließend gezielt danach befragt, wie er persönlich zum Thema Vampire steht, lässt der Musikus verlauten: „Wenn man einmal von der grausamen Überkitschung des Themas in den letzen Jahren absieht, sind Vampire überaus faszinierende Wesen. Sie verkörpern viele für den Menschen unbegreifliche Dinge wie Unsterblichkeit, die Fähigkeit zu fliegen oder die absolute Bindung an die Nacht, während wir Menschen von Natur aus tagaktiv sind. Eigentlich verkörpern Vampire die böse Version dessen, was viele Menschen gerne wären. Das macht sie so interessant.“

In Rumänien, genauer gesagt in den dortigen Karpaten, war Max laut eigener Aussage bislang noch nicht, doch er hat es schon lange vor, wie er bekundet. Das offizielle rumänische „Dracula-Schloss“ ist ja in Wahrheit aber leider eine mehr als lächerliche Touristen-Chose. „Ja, ich habe davon gehört. Um ehrlich zu sein, es überrascht mich nicht. So viele sagenumwobene Orte werden heute bis aufs Letzte ausgeschlachtet. Von ihrer eigentlichen Ausstrahlung bleibt oft gar nichts, wenn es denn überhaupt authentische Orte sind, was ja im Fall Dracula wohl nicht so ist.“

Wölfe, die ja im Vampir-Kult eine gewichtige Rolle spielen, empfindet der Multiinstrumentalist als faszinierende Wesen. „Es sind Tiere, denen in vielen Kontexten mystische Fähigkeiten zugesprochen werden. Und zu Mystik kann ich nur positiv stehen!“

Da Max mit dem anhaltend verkommerzialisierenden Hype zu diesem Kontext nichts anfangen kann, begeistert ihn auch das Twilight Serial nicht gerade.

„,Twilight‘ begeistert sehr viele Menschen. Ich respektiere das, auch wenn der Hype darum absolut nicht meinem persönlichen Geschmack entspricht. Auch nach ,Twilight‘ stelle ich mir Vampire ganz anders vor.“

An seinen allerersten gesehenen Vampir-Film kann sich dieser kreative Geist gar nicht mehr erinnern, wie er offen zugibt.

„Dafür erinnere ich mich aber an ein bestimmtes Buch: ,Der kleine Vampir‘! Da muss ich ungefähr sieben gewesen sein“, gibt er schmunzelnd vor, „und ich war damals schon von dem kleinen Jungen mit spitzen Zähnen begeistert, der mitten in der Nacht auf der Fensterbank saß. Das war schon sehr abenteuerlich. Natürlich kann man Rüdiger von Schlotterstein nicht mit Graf Dracula vergleichen, denn der hätte mir wirklich schlaflose Nächte bereitet.“ [grinst] Denn Dunkelheit, Geistern und Vampiren etc. stand Max in seinen frühen Jahren stets ängstlich und fasziniert gleichermaßen gegenüber, wie er dem Gesagten beifügt.

Fliegen wie ein Vampir, das wäre allerdings schon was für ihn, so der einfühlsame Charakter. „Allerdings hätte ich ein Problem damit, nur nachts umhergehen zu können. Das wäre nur das halbe Leben. Außerdem mag ich den Geschmack von Blut nicht.“

Die Frage, welchen Vampir-Film er bis heute als seinen persönlichen Favoriten erachtet, kann abschließend ebenso prompt wie präzise beantwortet werden. „Der an den Dracula-Roman angelehnte Friedrich Wilhelm Murnau-Stummfilm ,Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens‘ von 1922 ist meiner Meinung nach unerreicht.“

© Markus Eck, 02.11.2011

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