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Interview: LOVE LIES BLEEDING
Titel: Auf einer neuen Stufe

Die Welt ändert sich ständig. Auch dem gleichfalls manisch querköpfigen wie hochsarkastischen Franzosen Adrastis ergeht es in diesem Punkt nicht anders – was man dem neuen Studioalbum seiner Black Metal-Band Love Lies Bleeding diesmal auch ganz besonders deutlich anhört.

Denn dieser fünfte Langspieler namens „Clinamen“ offenbart mehr kreative Avantgarde, als es bei den bekanntlich eigenwilligen Liebesblut-Trinkern und bekennenden Bühnengegnern jemals zuvor der künstlerische Fall war. Auffällig klingende moderne Einflüsse fanden gleichfalls Einzug in die neuen Grimm- und Zeterlieder, als auch diverse Elektroniksounds inspirativ Pate standen.

Vom ihrem einstigen so herrlich dunkelromantischen und endlos sehnsüchtigen Theatralikerschaffen haben sich Love Lies Bleeding also mittlerweile ziemlich weit entfernt. Industriell anmutende Eiseskälte und vordergründig introvertiertes Todestrachten dominieren das manisch schizophren erscheinende Klanggeschehen auf „Clinamen“. Dabei zeigen sich die Beteiligten musikalisch als auch emotional natürlich trotzdem hochintensiv wie eh und je.

„Obwohl ich und die anderen in der Band gemeinsam für Love Lies Bleeding musizieren, herrscht bei uns keine zwischenmenschliche beziehungsweise künstlerische `Chemie` vor, wie man das vielleicht vermuten möchte. Wir sind zwar auf privater Ebene enge Freunde, doch die einzelnen Individualitäten der Beteiligten haben keinerlei Beziehung zu den Inhalten der Musik, die wir spielen. Das war so, ist so und soll auch immer so bleiben. Denn Love Lies Bleeding reflektiert ausschließlich mein Innerstes, mein Ego. Darum geht es und sonst um nichts. Um meine ganz ureigene und ganz spezielle Weltsicht. Dabei möchte ich mich beziehungsweise meine Intentionen ganz gewiss nicht als menschliches Wesen verstanden wissen – sondern viel eher als Musiker, als Künstler eben, und das am besten nach einem `Prisma-Effekt`“, erläutert Bandleader, Gitarrist und Keyboarder Adrastis eingangs, dabei nicht eine große Portion selbstherrlicher Egozentrik unterschlagend.

Seine Mitmusiker agieren demnach lediglich als ausführende Instrumentenknechte.

„Ja, sie dienen mir sozusagen lediglich als instrumentell darstellende Silhouette, und sie hatten auch diesmal wieder keinerlei Einfluss auf das Songwriting – außer Blutkehle Em-X, deren einzigartiger Dunkelgeist für die Lyriken auf `Clinamen` verantwortlich zeichnet. Meine Mistreiter spielen bekanntlich auch noch in diversen anderen französischen Black Metal-Bands, womit ich keine Schwierigkeiten habe – sonst würde es ja auch gar nicht mit uns als Band funktionieren. Insider kennen die Namen der anderen Beteiligten bei Love Lies Bleeding ohnehin. Es soll auf ihren Wunsch hin auch kein großer Wirbel darum gemacht werden, deswegen möchte ich sie hier nicht explizit nennen.“

„Clinamen” bemüht textlich wie gewohnt keinerlei Simplizismen, ganz im Gegenteil.

„Es geht um ein bestimmtes Konzept, welches ich sehr mag. Dieses beinhaltet, dass die ausschlaggebende Hauptdynamik im Universum eine ständige obligatorische Bewegung ist, welche es den Atomen überhaupt erst ermöglicht, sich zu versammeln. Ohne diese ständige Bewegung könnte überhaupt nichts existieren. So ist das uns bekannte gesamte Leben im eigentlichen Sinne dieser Betrachtungsweise lediglich eine zufällige Ansammlung von Atomen, die sich entweder vereinigen oder eben nicht. Und das kann zu einer geradezu endlosen Anzahl an differierenden Dingen führen. Aber nichts hat dabei eine transzendente, also übersinnliche Logik inne – alles hängt nämlich letztendlich davon ab, ob die einzelnen Bausteine entsprechend miteinander funktionieren beziehungsweise harmonieren.“

Man merkt es immer wieder, der auf Portraitierungen stets überaus melancholisch dreinblickende Adrastis ist alles andere als ein zugänglicher und weltoffener Charakter, was genau genommen aber perfekt zu „seiner“ Musik passt.

Das 2004er Vorgängeralbum „Ellipse“ war für den Hauptkomponisten und Bandleader eine weitere Stufe zum heutigen Klangbild von Love Lies Bleeding.

„Die ersten drei Alben waren ja sehr stark im symphonischen Schwarzmetall verwurzelt beziehungsweise verkörperten diese Stilistik nach Kräften. `Ellipse` hingegen war ein schöpferisch hochstabiles Bindeglied zwischen den alten und den ganz neuen Liedern, die ich gemacht habe. Trotzdem, oder genau daher, `Clinamen` ist abgründiger und außergewöhnlicher als alles, was ich jemals an Musik kreierte. Die industriellen und elektronischen Nuancen der Scheibe definieren genau den extremen Metal-Sound, den ich mir im Jahr 2006 für Love Lies Bleeding vorstelle. Dass die Gitarren und das Schlagzeug dabei beinahe auffallend nach alter Schule klingen, ist dabei auch vollauf beabsichtigt.“

Momentan lehnt sich der Mann erstmal weit in sich selbst zurück, wie er mich noch wissen lässt. „Ob es mit Love Lies Bleeding überhaupt als Band weitergeht, kann ich nicht genau sagen. Mir reicht es zu spüren, dass ich mit dem neuen Album das für mich Richtige archiviert habe und mich auch derzeit künstlerisch noch immer auf dem rechten Weg befinde. Ich habe für `Clinamen` zwei Jahre als Komponist und Arrangeur gebraucht, was eine ganz schön lange Zeitspanne ist. Und man kann mir glauben, dass ich in diesen zwei Jahren wirklich Tag und Nacht daran gedacht habe, ja, davon regelrecht besessen war. Je näher der Aufnahmetermin rückte, desto blanker lagen meine Nerven. Nun ist alles vollbracht und ich bin sehr stolz auf mein Werk. Von daher möchte ich nun erstmal wieder Abstand zu der Platte gewinnen, um davon loszukommen“, spricht er mit sanfter Stimme. Er, der unverblümt dominante Egotripper.

© Markus Eck, 21.12.2006

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