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Interview: IRON MAIDEN
Titel: Impulsive Natürlichkeit

Zwei Jahre können mitunter anmuten wie eine Ewigkeit: Zutreffend für die Wartezeit auf „Dance Of Death“, den aktuellen Albumnachfolger des 2000er Comeback-Werkes „Brave New World“.

Zwei Jahre Zeit, welche sich die 1975 im Londoner East-End gegründeten NWOBHM-Regenten Iron Maiden genommen haben, um nichts dem kreativen Zufall zu überlassen. Auf „Brave New World“ waren nach längerer Pausierung erstmals wieder Gitarrist Adrian Smith sowie der langjährige und immens beliebte Ausnahmesänger Bruce „Air-Raid Siren“ Dickinson zu hören.

Beide Musiker betrieben nach ihren jeweiligen Ausstiegen mehr oder weniger erfolgreiche Soloprojekte. Dickinson unter seinem Namen, Smith hingegen firmierte als ASAP (Adrian Smith And Project).

So brachte das Jahr 1997 schwermetallische Schlagzeilen, als Dickinson nach zwei befremdlich alternativ wirkenden Langspielern sein drittes Studioalbum „Accident Of Birth“ veröffentlichte, welches hier und da als ebenbürtiges Pendant zu Iron Maidens erfolgreichsten Releases der Neuzeit gehandelt wurde.

Kein Wunder, dehnte auf „Accident Of Birth“ doch Adrian Smith die Saiten in gewohnt spielerischer Brillanz.

Da Iron Maidens 1998er Studioalbum „Virtual X“ sowohl von treuer Anhängerschaft als auch von einigen Metal-Publikationen größtenteils schlichtweg ignoriert wurde, verdichteten sich die Anzeichen für eine Rückkehr Dickinsons Anfang 1999 schlagartig.

Gewichtiger Grund dafür war sein weiteres, Ende 1998 veröffentlichtes Soloalbum „The Chemical Wedding“.

Dieses wies nochmalig gesteigerte, verdächtige Parallelen zum einzigartigen Erfolgssound von genau der Band auf, mit welcher der einstige Sänger von Samson im Weiteren weltberühmt wurde.

Der für zwei Studioalben verpflichtete Sängervorgänger, Blaze Bayley von den ewig erfolglosen englischen Street-Rockern Wolfsbane, hatte sich zwar nach vorhandenen Sangeskräften bemüht, trotzdem jedoch ganzen Fanscharen die Lust an ihrer Lieblingsband gründlich verdorben. Es wurden in diesem Kontext gar Stimmen laut, welche von „völlig unakzeptabler Gesangsleistung“ sprachen.

Folge war die allseits ersehnte triumphale Heimkehr zweier verlorener Söhne, welche zahlreichen eisernen Fans der eisernen Jungfrauen wahre Jubelstürme entlockte.

Denn da Dickinson seinen erneuten Einstieg von der simultanen Neuverpflichtung Smiths abhängig machte, verfügten Iron Maiden von diesem Zeitpunkt an samt Dave Murray plötzlich über drei Gitarristen. Axeman Janick Gers durfte bleiben, er hatte Smith 1990 vor den Aufnahmen des nur mäßig erfolgreichen Albums „No Prayer For The Dying“ ersetzt. Dieser ebenso effiziente wie markante Lead- und Rhythmus-Saitendreier veredelt nun neben Dickinson's Platinkehle auch wieder „Dance Of Death“.

„Unsere neue Single „Wildest Dreams“ ist für jeden Fan eine optimale Einführung in die musikalische Richtung, in die wir uns entwickelt haben – sie repräsentiert das überwiegend vorherrschende musikalische Feeling in Iron Maiden. Ein verdammt cooles Teil; das neue Album wird jedoch insgesamt gesehen nicht vollständig vom Härtegrad dieses Songs durchzogen sein“, lässt mich dieser gleich zu Beginn unseres Gespräches wissen.

Sein Anruf erreicht mich mitten in der Nacht aus Detroit.

Die britische Legende befindet sich zum Zeitpunkt unseres Interviews gerade mit der Band auf Europa- und US-Tour, welche unter das Motto „Give Me Ed… ‘Til I’m Dead“ gestellt wurde. Viel Zeit bleibt ihnen danach nicht, um sich auszuruhen. Denn die den anstehenden Albumrelease von „Dance Of Death“ flankierende Welttournee startet Mitte Oktober 2003 in Europa. Diese wird das Sextett über Nord-, Süd- und Zentralamerika Anfang 2004 dann auch erneut nach Japan und Fernost führen.

„Vielleicht hast du da ja Recht, „Wildest Dreams“ weist einen für uns untypischen Chorus auf, aber darüber haben wir ehrlich gesagt bis jetzt noch zu keiner einzigen Sekunde nachgedacht. Was mich persönlich betrifft, ich finde diesen Song wie gesagt so richtig cool und ich mag auch seine Melodie sehr. Die neue Platte beinhaltet sehr viele solcher sehr impulsiven und sehr spontan wirkenden Tonfolgen, aber natürlich auch wieder so einige wirklich großartige Melodien. Eben so impulsiv und spontan, wie wir uns allesamt in Iron Maiden fühlen.“

So konnte ich mich des beschleichenden Eindrucks nicht erwehren, dass mich das Lied von seiner Grundstimmung her irgendwie an die unverbrauchte und mit Energie geladene Direktive des „Number Of The Beast“-Albumerfolgs erinnert. Und damit soll ich auch Recht behalten.

„Hierbei stimme ich zu. Wie die Tracks dieses Albums, eignen sich auch unsere neuen Songs einfach hervorragend als explosive Live-Nummern. Wie schon bei den Arbeiten zu „Brave New World“ gingen wir unverkrampft und entschlossen wie in alten Zeiten mit dem Vorhaben an die Arbeit, eine gute Live-Platte zu machen. Schon „Brave New World“ brachte uns in dieser Hinsicht erneut großen Erfolg, doch „Dance Of Death“ wird das Vorherige noch um ein Vielfaches steigern“, ist sich der im Interview erfreulich redselige Sänger ganz sicher, den ich nachfolgend zum lyrischen Gehalt der neuen Stücke befragte.

„`Wildest Dreams` beispielsweise ist ein Roadsong. Er handelt davon, raus auf die Straße zu gehen und aufs Geradewohl los zu fahren, wohin einen der Highway so führt“, offenbart Dickinson und verdutzt mich damit leicht.

Straßensong? „Ja, der Text steht in erster Linie für individuelle Freiheit und dafür, sein Leben zu leben, wie man möchte.“ Energisch nach vorne also.

So wartet „Dance Of Death“ laut Bruce stellenweise auch mit so einiger heavyness auf. „Dieses mit aller Natürlichkeit eingespielte Album führt die Hörer an vereinzelten Stellen zurück zu unseren altbewährten Tugenden, auf der anderen Seite befinden sich auch Sachen darauf, welche man von Iron Maiden noch niemals zuvor in unserer Historie vernommen hat.“

Das hört sich ja sehr interessant an. Und Mr. Dickinson hat auch bereits schon einige Song-Faves, wie er mir nachfolgend eröffnet. „Ein Stück namens `Paschendale`, es trägt den Namen einer belgischen Kleinstadt. Der Song beschreibt ein dort im ersten Weltkrieg verübtes großes Massaker. `Paschendale` ist ein zehnminütiger und sehr epischer Track über den ersten Weltkrieg. Dieses Lied ist wirklich sehr heavy geworden“, verdunkelt sich hier die Stimme des Vokalisten zu tiefer und anhaltender, beinahe brummender Aussprache.

Und seine Beschreibung zu „Paschendale“ weckt Erinnerungen an große Song-Epen wie „Alexander The Great“ vom „Somewhere In Time“-Album oder aktuell bezogen „The Nomad“ vom letzten Album „Brave New World“.

Der Sänger erläutert weiter: „Orientalisches oder ägyptisches Flair ist aber definitiv nicht auf „Dance Of Death“ eingebracht worden, auf der ganzen Platte wird man nichts davon vorfinden. Es ist wie gesagt eine vereinzelt sehr harte Angelegenheit geworden. Trotzdem wird man die Scheibe je mehr lieben, je mehr man sie hört. Bezug nehmend auf `Paschendale`: Wir haben erneut einige epische Stücke geschrieben, welche sich im Laufe ihrer Entwicklung auf eine Spielzeit von fast neun Minuten steigerten“, entfährt es ihm schon fast beschwörend.

Damit beschreibt der Engländer ein charakteristisches Trademark fast aller Maiden-Werke. „Von manchen Kompositionen werden die Fans umgehend angetan sein, manche wollen entdeckt werden. Und dazwischen drin ist auch allerhand vorhanden. Wir haben eine ganze Menge an Ideen verarbeitet, so gibt es auch eine ganze Menge auf „Dance Of Death“ zu entdecken. Dieses neue Album wird Iron Maiden so einige neue Fans bescheren.“

Auch der letzte Song von „Dance Of Death“, „Journeyman“, hat es ihm angetan, wie er mir offenbart: „Ein Unplugged-Song, ein sehr gut gelungenes Akustikstück, wie ich finde.“

Weitere von insgesamt elf Songtiteln werden neben dem Titelsong „Rainmaker“, „No More Lies“, „Montsegur“, „Gates Of Tomorrow“, „New Frontier“, „Face in The Sand“ und „Age Of Innocence“ sein, wie weiterhin zu erfahren war: „Die Zusammenarbeit innerhalb der Band war selten so gut wie für dieses neue Album“, verkündet Dickinson mit deutlich hörbarem Stolz. „Alle Mitglieder haben sich beim Songwriting eingebracht, sogar unser Schlagzeuger Nicko McBrain schrieb ein Stück: `New Frontier`.“

Dann wendet sich der Gesprächsinhalt in Richtung des Wirkens seines Vorgängers, Blaze Bayley.

„Ich belaste mich als Künstler grundsätzlich nicht damit, irgendwelche Meinungen über andere Leute oder gar Kollegen abzugeben.“

Es hilft nichts, hier muss ich nun doch nachhaken.

Somit: „Blaze erledigte einen ziemlich guten Job, er gab sein Bestes. Leider wurde er von einigen der Fans und eventuell auch diversen Pressemedien sehr schlecht abgeurteilt. Was er heutzutage so alles macht, kann ich nicht sagen.“

Nächstes Interview-Thema ist das neue Frontcover-Artwork für „Dance Of Death“, welches dem Sänger gut gefällt.

„Die Idee dazu war, dass es in erster Linie sehr ungewöhnlich anmuten sollte und nicht nur einfach gut anzusehen war.“ Der jahrelange Hauszeichner von Iron Maiden, Derek Riggs, hat laut Aussage von Bruce „überragende Frontcover kreiert, welche allesamt zu wahren Klassikern avanciert sind.“

Seit einiger Zeit hat Meister Riggs jedoch anscheinend überhaupt kein Interesse mehr daran, Bandmaskottchen Eddie in vielfältigen Posen zu porträtieren.

Eine tragische Nachricht war für viele treue Anhänger der famosen Briten die damalige Meldung über die Leukämieerkrankung des ehemaligen und von vielen sehr geschätzten Iron Maiden-Drummers Clive Burr. „Leider habe ich keine Ahnung, wie es Clive derzeit geht. Ich habe schon seit einigen Wochen nichts mehr von ihm gehört.“, erklärt mir Dickinson mit erstmals bedrücktem und auffallend zurückhaltenden Tonfall. Wünschen wir Burr das Allerbeste, von den älteren Fans hat ihn keiner je vergessen.

Kein sonderliches Interesse scheint am anderen Ende der Telefonleitung an eher neuzeitlichen Schwermetallstilistiken wie Black-, Death-, Dark- oder Gothic Metal zu herrschen.

„Vieles davon kam aus Amerika, und vieles davon hört sich doch sowieso gleich an. Das ganze Zeug macht mich manchmal ziemlich konfus. Zu viele Leute schlossen sich zu vielen Metal-Szenen an und vertreten jeweilig zu starre Überzeugungen. Metal ist doch nach wie vor nur Musik. Harte Musik für diejenigen, die solcherlei harte Sounds lieben.“

So macht der Sänger es sich laut eigener Aussage ganz einfach damit, und unterscheidet lediglich zwischen „guter und schlechter“ harter Musik. Von aktuell populärer Hartmusik hält er sich fern, da „dieses ganze Zeug sich wie gesagt doch über kurz oder lang irgendwie gleich anhört.“

Wir erfahren in diesem Kontext: „Ich höre mir am liebsten immer wieder gerne ältere Sachen von Ritchie Blackmore oder auch sein neueres Projekt Blackmore´s Night an. Auch Ian Gillan läuft des Öfteren bei mir, speziell seine letzteren Sachen.“

Zufällig bestätigten sich dieser Tage seit längerem andauernde Gerüchte, dass auch Oberpriester Robert Halford endlich wieder zurück zu Judas Priest gekommen ist. Wahrlich eine Sensation.

„Das geht schon OK, hoffentlich machen die auch eine gute neue Platte mit ihm“, hofft Dickinson mit aller Gelassenheit. Und stellt weiter fest: „ Für Judas Priest wie ihre Fans ist diese Rückkehr von ähnlich großer Bedeutung wie mein damaliger erneuter Einstieg bei Iron Maiden, Halford hätte das doch schon viel früher tun sollen. Zwar halte ich seine erste Soloplatte nach wie vor für absolut fantastisch, doch bei Priest ist er meiner Meinung nach eben einfach am besten aufgehoben.“

© Markus Eck, 08.08.2003

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