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Interview: ELEND
Titel: Schwärze als Programm

Allzu selten ist es Musikern in der Neuzeit gelungen, eine dermaßen bedrohliche Stimmung und scheinbar endlose Trauer mit ihren Kompositionen zu kreieren. Solcherlei orchestralen Gigantismus kennt man sonst eigentlich lediglich von den zeitlos schönen Meisterwerken der Klassik.

Elend wurden mit ihrem Schaffen als wahre Großmeister der Disziplin bekannt. Die sakralen symphonischen Dramen des Orchesters mit dem Namen, den man nie wieder vergißt, verströmen ebenfalls riesige musikalische Macht und nicht endend wollende schmerzvolle Trauer. Das aus französischen Musikern und einem österreichischen Mitglied bestehende Ensemble der akustischen Tränenströme erschuf mit seinen großartigen Werken faszinierende Dokumente bombastischer Klangfülle.

Der qualitative Inhalt der von Elend erschaffenen Requien ist das exakte Gegenteil des Bandnamens. Gründungsmitglied Renaud Tschirner vertrat den von der Gruppe gewonnenen guten Eindruck auch im Interview bestens.

„Holy Records haben unser zweites Album `Les Ténèbres Du Dehors` mit unserem Einverständnis jetzt neu veröffentlicht. Es beinhaltet einen Bonus-Track, der damals gleichzeitig mit den übrigen Stücken aufgenommen wurde. Das Layout wurde ebenfalls überarbeitet. Wenn man sich zurückerinnert, war diese CD durch ihre besondere Stellung in unserem Offizium-Zyklus einerseits eine kontemplative, andererseits eine besonders aggressive und dynamische Veröffentlichung. Textlich ging es um Luzifers Traum von Revolution nach dem Sturz. Musikalisch umgesetzt bedeutete dies, ätherische Passagen mit immer wiederkehrenden Gewaltausbrüchen zu verbinden. Im Gegensatz zum ersten Album, auf dem wir vor allem auf Melancholie Wert legten, und zum letzten, in dem die Bedrohlichkeit und Leere des Todes aufbricht. Wir entschieden uns damals für sanfte, verträumte Farben, die von schwarzen und feurigen Blitzen durchzogen wurden, um den Gegensatz zum ersten Album, das in Rot und Gold eingebettet war, zu verdeutlichen.“

In der früheren Auflage war das Album-Cover betont blau und schwarz, mit teils grauer, teils goldener Schrift. „In der Neuauflage von `Les Ténèbres Du Dehors` haben wir durch die zentrale Verwendung von Rot und Schwarz den anderen Aspekt hervorgehoben. Ich glaube, daß viele Hörer im Nachhinein, d.h., nach der Erscheinung des letzten Albums des Zyklus‘, diese Musik dadurch anders wahrnehmen können. Die Form, in der das Album ab jetzt erhältlich ist, entspricht insofern mehr unserer damaligen Vorstellung, da der Bonus-Track Teil des Konzeptes ist. Wir willigten damals ein, einen unveröffentlichten Track für eine Holy Records Unreleased Compilation-CD mit kleiner Auflage bereitzustellen; aus diesem Grund hat der Großteil der Öffentlichkeit das Stück noch nie zu Gehör bekommen. Die Illustrationen von Gustave Dorés zu jedem einzelnen Stück sind selbstverständlich beibehalten worden, wobei auch hier die ursprünglich von uns geplante Anordnung verwendet wurde. Es befindet sich also auch ein bisher unbekannter Kupferstich darunter.“

Elend haben sich, so Renaud, bald nach der Veröffentlichung von „The Umbersun“ im Mai 1998 aufgelöst, da den Beteiligten klar wurde, daß das Projekt Elend nach Vollendung des über drei Alben reichenden Konzeptes nicht mehr existenzberechtigt war. Er blickt zurück:

„Wir hatten die Gruppe in Verbindung mit der Idee des ,Offizium-Zyklus‘ gegründet und demnach auch entsprechend benannt. Es war einerseits nicht vertretbar, unter dem selben Namen eine komplett neue Richtung einzuschlagen und andererseits zwecklos, zu versuchen, noch weiter in die gleiche Richtung vorzudringen; mit den uns verfügbaren finanziellen Mitteln wäre es lächerlich gewesen, zu versuchen, im gleichen Instrumentalgewand noch weiter zu gehen. Wir hatten unser Ziel erreicht. Ich empfehle dieses Album wirklich jedem, der Interesse an extrem bedrohlicher Musik hat. Ich gehe davon aus, daß es in jedem Metal-Hörer wenigstens 1% Interesse an echter Musikgewalt gibt. Das, was sonst geboten wird, insbesondere von Leuten, die sich brüsten, am extremsten Musikstil aller Zeiten teilzunehmen, ist wirklich lächerlich. `The Umbersun` war zwar Platte des Monats im Orkus, aber ich erinnere mich noch genau an die Kritik im Ablaze Magazin: `Neben symphonischen Elementen ertönen aber auch abgedrehte Industrial- und Percussion-Sounds, die mir zu extrem klingen. Diese monströsen, bedrückenden Kompositionen sind wirklich anstrengend.` Wir haben selten so gelacht. Für uns, die beiden Komponisten, ist diese CD nicht mehr als eine Etappe. Sie ist wahrscheinlich anstrengender zu hören als vieles andere, aber der extremste musikalische Punkt ist noch lange nicht erreicht. Dazu kommt, daß Music For Nations unsere Option auf weitere Alben nicht aufgriffen. Unser Vertrag hätte es uns ermöglicht, unter dem selben Namen weitere CDs aufzunehmen. Wir spielten vorübergehend mit dem Gedanken. Sahen aber jedoch bald ein, daß es im Fall einer Fortsetzung unserer gemeinsamen Arbeit einer komplett neuen Grundidee bedurft hätte. Sowohl theoretisch – was den konzeptionellen Rahmen angeht – als auch praktisch und musikalisch, beispielsweise welche Instrumentierung zu wählen sei. Wir waren nie an einer Karriere interessiert.“

Bis auf meinen Gesprächspartner leben alle Mitglieder in Frankreich, wie er offenbart. „Für jedes Album erfolgte die erste Phase der Komposition unabhängig voneinander, bevor das Material gemeinsam ausgewertet wurde. Das grobe Gerüst, also das Textkonzept und damit die Struktur des Albums sowie der einzelnen Musikstücke, Texte und des fragmentarischen Layouts, stand einigermaßen fest, als ich dann für die Dauer der weiteren Komposition und Proben nach Frankreich zog, um das Album fertig zu stellen. Hinsichtlich der Lyrics war Alex Hasnaoui dabei immer der Motor für Text und Konzept. Die Aufnahmen der Lieder fanden stets in unterschiedlichen Studios statt. Die Idee des Projektes geht auf 1993 zurück. Die kompositorische Arbeit begann bald darauf.“

Und wie Elend bereits in frühen Interviews immer wieder betonten, strebten die involvierten Musiker innerhalb der instrumentalen Normen der E-Musik einen Grad an Schwärze und dramatischer Spannung an, wie es ihn in dieser Musikform kaum gibt; jedenfalls nicht in diesem Ausmaß.

„In Elend ist die Schwärze Programm. Man kann zwar ab dem späten 19. Jahrhundert immer wieder Komponisten hören, die sich damit auseinandersetzten, welche aber die musikalische Gewalt und Brutalität nie konsequent und kohärent durch ein ganzes Werk führten. Vielleicht bildet Penderecki die Ausnahme. Die Tatsache, daß wir die menschliche Stimme ähnlich einsetzten wie es im extremen Metal üblich ist, hat uns wahrscheinlich geholfen, im Metal-Bereich Anhänger zu finden. Unser erstes Label war genau wie Music For Nations eine Metal-Plattenfirma.“

Verehrer scheinen diese ausgesprochenen Neoklassik-Könner überall zu haben; Renaud hierzu: „Der Schwerpunkt liegt wahrscheinlich im deutschen Raum, denn Metal ist dort seit langem fest etabliert, und in Frankreich durch die Arbeit von Holy Records. Wir sind mit unseren Verkäufen zufrieden; unser am meisten verkauftes Album liegt bei 22.000 Exemplaren.“

Die Musikpresse tat sich jedoch bislang überwiegend recht schwer mit solcherlei außergewöhnlicher Musik. Der Mann hinter Elend expliziert: „Wir haben in allen Interviews immer viel erklärt; wahrscheinlich zu viel. Die meisten Hörer wollen von Theorie nichts wissen; was für sie zählt, ist das musikalische Erlebnis. Das ist an sich nichts Schlechtes. Falls jemand aber tiefer gehen will, bieten wir ihm durch unsere detaillierten Ausführungen hilfreiche Anhaltspunkte. Wir kommen jedem Interessierten so weit wie möglich entgegen. Darüber hinaus betrifft uns die Rezeption unserer Musik nicht. Einordnung ist auch nicht unser Problem. Wenn ein Verkäufer der Ansicht ist, daß unsere Alben mehr Anklang beim Gothic-Publikum finden, dann soll er Elend als ,Gothic‘ vermarkten. Eigentlich kommen wir aus dem E-Bereich, komponieren aber nicht wie E-Komponisten, sondern integrieren Elemente populärer Genres. Es ist daher selbstverständlich und völlig legitim, unsere Musik mit Metal oder Gothic zu vergleichen. Es handelt sich dabei um eine ähnliche musikalische Tendenz.“

Wie viele reale Instrumente wohl auf den Elend-Veröffentlichungen zu hören sind?

„Das läßt sich so einfach nicht sagen, außerdem variiert das von Album zu Album. Wir hatten begonnen, synthetisch generierte Klänge mit echten Instrumenten zu koppeln. Mit der Zeit sind wir - aus zeitlichen, also finanziellen Gründen -, immer mehr von der `authentischen` Instrumentierung abgekommen. `The Umbersun` ist ein gutes Beispiel: die Stimmen des Chors und unsere eigenen sind eingesungen, sonst kommt alle Musik aus elektronischen Geräten. Das heißt nicht, daß nichts eingespielt wurde. Manches muß programmiert werden, manches muß - manuell - eingespielt werden. Der Großteil der Arbeit in der Vorproduktions-Phase vergeht mit Programmierungen. Viele wissen nicht wirklich, was Sampler sind: Es handelt sich bei Samples nicht bloß um ganze Phrasen, Passagen und Riffs aus bereits bestehenden Aufnahmen, wie sie in der elektronischen Musik verwendet werden. Jeder weiß, wie ein Keyboard oder Synthesizer funktioniert; man stelle sich einfach vor, daß jeder synthetische Klang eines Synthesizers genauso gut der authentische Klang eines Instrumentes sein kann, der vorher Ton für Ton aufgenommen wurde. Ein Sampler liest solche Klänge genauso wie ein Synthesizer künstlich generierte Klänge lesen würde.“

Mit Sicherheit war es ein langer kreativer Weg, um solche Werke zu inszenieren. „Das ist wiederum schwer zu sagen, da wir oft für ein Album auf Musik zurückgreifen, die für ein vorhergehendes geschrieben wurde. Wir haben mit der Gründung von Elend einen langen kreativen Prozeß begonnen, der mit den Aufnahmen für `The Umbersun` im Herbst 1997 endete. Das einzige erwähnenswerte Studio ist das des letzten Albums: Dominic Brethes‘ Wolf-Studio in London. Er ist ein sehr guter Produzent, der mit zahlreichen bekannten Pop-Gruppen gearbeitet hat. Die Vorproduktion zu ´The Umbersun´ wurde in unseren eigenen Homestudios gemacht, The Fall Studios. Die Aufgabenverteilung läßt sich nicht an Musikstücken festmachen. Die komponierten Themen, die als Basis für die Stücke dienen, stammen von beiden Komponisten. Die Strukturen der Stücke sowie deren theoretische Instrumentierung stammen meistens von meinem Kollegen, während ich vielleicht mehr im praktischen Komponieren der orchestralen Arrangements tätig bin. Jedenfalls wird jedes einzelne Stück gemeinsam ausgearbeitet, so daß es im Nachhinein immer schwer zu sagen ist, welches Element ursprünglich von wem stammte. Man sollte sich als Komponist nicht nur mit allem Bekannten, sondern auch mit schwer Erhältlichem auseinandersetzen. Nur dann ist eine Aussage über Neuheit und Originalität zu verantworten.“

Froh kann sein, wer den bisher einzigen Bühnenauftritt von Elend überhaupt gesehen hat. Renaud informiert dazu:

„Wir haben im April 1995 ein Konzert in Frankreich gegeben, als Headliner bei einem Metal-Festival. Obwohl das Publikum begeistert war, haben wir nicht versucht, die Erfahrung zu wiederholen, da es bei der Dichte unserer Musik vieler Session-Musiker bedarf, die wir uns damals nicht leisten konnten. Mit den Stücken des ersten Albums, das wir damals spielten, konnten wir das Problem noch einigermaßen überbrücken, da wir noch nicht die gewaltigen Klanggebäude der zweiten und besonders der letzten CD verwendeten.“

Schon recht früh hatten die beteiligten Musiker neben Elend ihre eigenen Projekte, bei welchen die übrigen Mitglieder aber nicht beteiligt sind, wie zu erfahren war. „Seit der Auflösung von Elend haben wir auch mehr Zeit, an jener Musik in besagten Projekten zu feilen. Stilistisch reicht das von Pop und elektronischer Musik wie beispielsweise Trip-Hop oder Techno über technischen Metal und Jazz bis hin zu diversen symphonischen Kompositionen. Alex Hasnaoui und ich arbeiten derzeit, genauer gesagt seit einigen Monaten schon, an einem neuen gemeinsamen musikalischen Projekt. Alle bisherigen Elend-Mitarbeiter sowie einige neue Musiker sind daran beteiligt. Es handelt sich dabei wiederum um experimentelle Musik, die wahrscheinlich viel weiter geht als Elend, aber ohne den orchestralen Bombast - was Düsternis und Bedrohlichkeit natürlich aber nicht ausschließt. Wir werden demnächst unser Demo in unseren eigenen Studioeinrichtungen aufnehmen.“

© Markus Eck, 01.08.2001

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