Interview: | BLIND GUARDIAN |
Titel: | Gereift, aber noch nahe an der Basis |
Das brandneue Studioalbum der weltweit überaus beliebten Krefelder Epikmetaller um Sänger Hansi Kürsch, „A Twist In The Myth”, war jüngst Ursache meines erneuten Trips ins Nuclear Blast-Hauptquartier nach Donzdorf: Dem wahrscheinlich schon jetzt metallisch-legendären Ort, wo Heavy Metal auf dem Lande stilgetreu und trotz vieler Gegensätzlichkeiten in aller Harmonie zelebriert wird. Einer wie gewohnt nicht enden wollenden Zugfahrt schloß sich dann ein ebenfalls gewohnt herzlicher Empfang im Label-Haus an.
Nachdem die geladenen Schreiberlinge es sich im Chefbüro von Mr. Staiger gemütlich gemacht hatten, erschallt der Opener „This Will Never End“, knapp über fünf Minuten dauernd: Ein allzu typischer Blind Guardian-Track, welcher als erster Song des Albums gut gewählt wurde. Der Wechsel zwischen Mid- und Uptempo variiert ständig, gesanglich pendelt Hansi Kürsch zwischen harmonischen Klargesängen und eher furiosen Ausbrüchen hin und her.
Schnell macht sich zwar ein Gefühl der Vorhersehbarkeit breit, dennoch, diesen Song muss man schon ein paar Mal öfter hören, um endgültig urteilen zu können.
Den Abschluß macht „Otherland” (5:14), eine hymnische Blind Guardian-Standardnummer, aufwändig und vielseitig produziert. Auffallend sind hier die mehrstimmigen Gesänge und eine exzellente Gitarrenarbeit. Peitschende Passagen duellieren sich mit herrlichen instrumentellen Harmonien.
„Turn The Page” (4:16) ist der erste Song der Scheibe, der mich auf Anhieb vollkommen überzeugt hat, ein Hammerstück mit eindeutigem Hitcharakter. Choräle beziehungsweise chorartig arrangierte Vokallinien paaren sich mit druckvollem Gitarrenspiel und harten Schlagzeugattacken – die Refrains vergisst man so schnell nicht wieder. Ein Lied, welches hervorragend als Single-Auskopplung geeignet scheint.
„Fly” (5:43) bietet anschließend galoppierende Riff-Schübe, von denen nicht wenige massives Rock’n’Roll-Feeling offenbaren. Ein sehr ungewöhnlicher Blind Guardian-Song, dessen betont variable Gesangs-Outputs nicht wenige Fans überraschen werden. Mittels eines recht verträumt anmutenden Zwischenspiels werden die ständig überraschenden Rhythmuswechsel adäquat kontrastiert. Einige Parts der Komposition sind wie erwähnt sehr rockig.
Keltische Anleihen bietet „Carry The Blessed Home” mit einer Spiellänge von knapp über vier Minuten. Eine eher balladeske Nummer, deren positiv anmutende Dramatik sich dem Hörer schnell erschließt. Ein insgesamt sehr sehnsüchtig klingendes Lied, definitiv einer der besseren Tracks auf „A Twist In The Myth”. Die kraft- und seelenvollen Gesänge, die hier eingebracht worden sind, sowie das lustvoll tanzende Drumming sollte man auf jeden Fall gehört haben; auch, wenn man kein Fan der Band ist.
Den Anschluss macht „Another Stranger Me” (4:36), hier werken die kompositorisch überhaupt nicht blinden Wächter mit progressiven Anleihen.
Ein harmonisch-griffiger Refrain erschallt ziemlich rasch, ziemlich hart gestaltete Übergänge zwischen den einzelnen Song-Parts sorgen für allerlei spannende Hörmomente.
Der Song bietet eine gekonnte Vereinigung von guten Ideen, welche an gute alte Blind Guardian-Qualitäten erinnern, noch dazu ist er einfach blendend vokalisiert. Erneut mit einem Refrain beziehungsweise wiederkehrendem Grundmotiv versehen, welche echte Ohrwurmqualitäten mit sich bringen.
Dem nächsten Stück „Straight Through The Mirror” (5:48) ist abermals der erwähnte Mix aus Mid- und Uptempo zueigen, allerdings hier mit sich kontinuierlich aufbauender Spannung. Mittels schön tragischer Gitarrenharmonien ab der Mitte der Nummer zelebrieren Blind Guardian sich hier selbst in aller schwermetallisch-melodischen Feierlichkeit.
Den Beginn von „Lionheart” (4:15) markiert Tribal-artiges Getrommel, eher diffuse Rhythmik macht sich binnen kurzer Momente breit. Durch ständige Wechsel der kreierten Stimmungen baut sich auch hier eine faszinierende Spannung auf. Sperrig erscheinende Momente werden durch allerlei latente Melodiken nivelliert.
Eine mittelalterlich klingende Großballade bieten Blind Guardian mit „Skalds And Shadows”, welche knapp über drei Minuten dauert – Mittelerde lässt grüßen. Erstaunlich vielfältig ist die mühevolle Umsetzung von diversen Vokal-Stilen geworden – Kürsch gibt erneut sein Allerbestes.
Eine ebenso impulsive wie punktgenau inszenierte Nummer ist „The Edge” (4:27) geworden, sie ist mit einem betont fröhlichen Refrain versehen. Dennoch wurden auch einige psychotisch anmutende Songstellen verbaut. Enorm druckvolle Instrumentierung ist zu verzeichnen.
Abschließend erklingt in Form von „The New Order” ein Viereinhalbminutensong, dessen kernig-kantige Attitüde stark gegensätzliche Kontraste in sich birgt, absolut hingebungsvoll vokalisiert. Der Mix aus Verspieltheit, Anmut und Druck brennt sich rasch ins Bewusstsein.
Zurück bleibt ein markanter Eindruck: Stets wenn man vermeintliche Schwächen auf „A Twist In The Myth” erkannt zu haben meint, belehrt einen die insgesamt doch sehr hohe Qualität des neuen Werkes beim Überdenken eines besseren.
Nachfolgend an die lautstarke Listening-Session stellten sich die Jungs einer länger andauernden Foto-Session und posieren so lange bereitswillig, bis jeder der geladenen Schreiberlinge genügend Material im Kasten hat. Selbst Sonderwünsche wie das Posen mit diversen Metal-Printmedien werden gerne erfüllt. Hier zeigt sich erneut, dass die Krefelder die großen Sympathien aus dem Lager ihrer zahlreichen Anhänger nach wie vor mit Recht genießen dürfen.
Abschließend begeben sich sowohl Band als auch Schreiber dann ins bereits aufgebaute Nuclear Blast-Partyzelt, welches an diesem Tage für ein Betriebs-Zugehörigkeits-Jubiläum diverser langjähriger und verdienter Mitarbeiter aufgestellt wurde. Das heran gekarrte Catering umfasst Grillspezialitäten, diverse Salate und dergleichen mehr. Selbst eine Cocktail-Bar wurde aufgebaut, an der es allerlei Hochprozentiges gibt.
Dann kann ich endlich meinen Interview-Termin wahrnehmen. Ich merke gleich zu Beginn des Dialogs mit Hansi an, dass ich als alter Anhänger meiner frühen Speed Metal-Helden aus Krefeld auch das neue Blind Guardian-Album wieder ein wenig zu konstruiert und in Sachen Effekte fast zu überladen finde. Dieser kontert gelassen:
„In erster Linie sollten viele der Hörer endlich mal damit aufhören, uns auf ewig an `Battallions Of Fear` und `Follow The Blind` zu messen beziehungsweise zu bewerten. Wir haben seit Jahren überhaupt keinen Wert mehr darauf gelegt, uns zu wiederholen. Auch auf dem neuen Werk sind wir von den musikalischen Urgewalten unserer frühen Tonträger weit entfernt. Da spielt natürlich auch das Alter eines Musikers eine Rolle, man wird ganz einfach reifer und anspruchsvoller.”
Der Sänger hängt dem an: „Warum man das unbedingt auf die eigene Musik umlegen muss? Nun, im Grunde stehen Blind Guardian ja natürlich noch immer für puren epischen Heavy Metal, aber als Künstler will und muss man sich doch stets bemühen, sich weiter nach vorne zu entwickeln. Sonst verliert man irgendwann die Lust und das Feuer für sein Schaffen. Wir haben uns somit natürlich auch für `A Twist In The Myth` viel Mühe gegeben, um das Album so frisch und abwechslungsreich wie möglich werden zu lassen. Wenn sich einige Passagen in den neuen Kompositionen für dich eher befremdlich anhören, so sehen wir dies eindeutig schon mal als gutes Zeichen, denn dann haben wir uns nicht wiederholt. Und sollte eine Stelle in einem Song jemanden nun doch an ein älteres Lied von uns erinnern, dann ist es echt purer Zufall und war in keiner Weise geplant Wir haben uns noch nie irgendwelche Strickmuster zuvor erarbeitet, nach denen Lieder gemacht werden. Wir sind auf dieser Ebene eben stets sehr impulsiv, und das ist doch auch gut so. Oberstes Ziel ist es sozusagen, den jeweiligen Anspruch an uns selbst immer zu erfüllen. Und das ist uns eindeutig wieder mal gelungen - denn uns selbst gefällt die neue Scheibe wirklich sehr gut.”
Wie Hansi mir im Weiteren offenbart, kreieren Blind Guardian ihre Stücke im Grunde genommen trotzdem noch immer auf die gleiche Art und Weise, wie sie es schon seit jeher gemacht hatten. „Dennoch, der primäre Plan ist vor jedem neuen Album, wie gesagt, auch etwas Neues zu erschaffen. Man könnte dazu auch sagen, wir möchten immer mal wieder ein wenig neuen schwermetallischen Zeitgeist erschaffen.”
Dabei halfen den Krefelder Wächtern laut Aussage des Vokalisten so einige neuere Bands aus beinahe dem gesamten Metal-Bereich, deren mitunter innovative Stilistiken nicht gerade spurlos an den kompositorischen Geschicken von Blind Guardian vorbeigegangen sind.
„Welche Bands das aber nun genau sind, kann und möchte ich dir hier nicht sagen. Fakt ist, dass auch unsere jüngste Weiterentwicklung für `A Twist In The Myth` lediglich aus einer Vorgehensweise resultiert, die man als ergiebige `Auseinandersetzung mit zuvor gehörten neuen Sounds` titulieren kann. Ähnlich war und ist es bei uns noch immer mit all den guten alten Sachen von Queen, beziehungsweise gerade den theatralischen und auch bombastischen Elementen, welche wir ja bereits merklich ab dem dritten Studioalbum immer mehr in unsere Songs verbaut haben.”
Allerhöchste Zeit wird es im Anschluß daran dann auch, das von mir seit Jahren immer mal wieder geforderte Flipper-Duell mit Labelboss und Pinball-Fan Staiger endlich einmal in die spielerische Tat umzusetzen.
Und diesmal gibt es für meinen geschäftigen Namensvetter keinerlei Ausflüchte: Er muss ran! Im Weiteren bereiten ihm meine geübten Künste mit der Eisenkugel nicht wenig Kopfzerbrechen darüber, wie er mich punktemäßig toppen kann.
Da wir beide aber aufgrund der ganzen Hektik des Tages nicht in Hochform sind, geht es letztendlich im Großen und Ganzen unentschieden aus. Ebenso spannend wie spaßig war es natürlich trotzdem, wie man sich leicht vorstellen kann.
Leider regnet es in den folgenden Abendstunden mehr und mehr, sodass das von Labelboss Staiger bereitgestellte Feuerwerk nur unter massiven Regentropfen begutachtet werden kann. Dennoch, der Feierlaune von Blind Guardian tut dies überhaupt keinen Abbruch. Denn sowohl Hansi als auch Gitarrist Marcus Siepen sind am nächsten Tag ganz schwer verkatert. Die bis in die tiefe Nacht hinein zahlreich konsumierten Cocktails wurden ihnen laut eigener Aussage zum fatalen Verhängnis.
Witzig, als wir nach dem Frühstück gemeinsam wieder zum Nuclear Blast-Headquarter zurückkehren, stellt sich heraus: Der gute Hansi, sichtlich und hörbar angeschlagen, vergisst sogar ein Handtuch aus dem Hotel dort zurück zu lassen, welches er sich nach der Dusche um den Hals gehängt hatte. Dass er von mir deswegen ständig mit dem großen alten deutschen Entertainer Johannes Heesters verglichen wird, der ebenfalls nicht selten mit einem weißen Schal auftrat, belustigt den Sänger wirklich sehr.
© Markus Eck, 19.07.2006
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