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Interview: BEHEMOTH
Titel: Aufforderung zu selbständigen Denkvorgängen

Nergal hat mal wieder zugeschlagen. Verdammt hart sogar. Der überaus selbstbewusste Pole und seine erbarmungslose Todesgarde Behemoth bündelten ihre kreativen Kräfte in diesem Zuge einmal mehr, um ein wahres Death Metal-Monster in Albumform zum Leben zu erwecken.

Das neue Metzelmanifest „The Apostasy“ gleicht somit einem wild tosenden Orkan an entfesselten Spielfreuden oberbrachialster Natur. Das außergewöhnlich tourfreudige Trio beschreitet den vor nicht allzu langer Zeit eingeschlagenen stilistischen Pfad abartiger musikextremer Brutalität auch neuerdings mit möglichst vehementer Spielmanier.

So wird mit martialischer rhythmischer Präzisionsstrategie alles gar bestialisch nieder gespielt, was da nicht mithalten kann beziehungsweise nicht schnell genug aus dem Weg geht. Getrost darf der geneigte Hörer seine qualitativ lärmenden Lieblinge daher auch 2007 zur absoluten Weltspitze dieses mehr als massenhaft umkämpften Genres zählen.

Nergal ist eben durch und durch Vollprofi, und dementsprechend souverän absolviert er wie gewohnt sämtliche Belange seiner Band; einer fest etablierten Szenegröße, von deren Musik die Macher mittlerweile auch ganz gut leben können.

Im erneuten Interviewgespräch zeigt sich der versierte polnische Saitenmeister daher wiederholt von seiner auskunftsfreudigen Seite.

„Wir wollten eben absolut nicht `Demigod` Nummer zwei machen“, entgegnet der Maestro sehr impulsiv auf die Anmerkung zum zuweilen deutlichen Unterschied des neuen Werkes zum Vorgängeralbum „Demigod“. Obwohl sich die beiden Bombenscheiben in punkto Extremität nichts schenken und sich dadurch von früherem melodischeren Schaffen des perfiden Polentrupps abheben, weist „The Apostasy“ doch deutliche Differenzen zum vorhergehenden Todesblei-Auswurf auf.

Nergal geht dazu gerne in die Tiefe, dem Autoren in diesem Punkt voll zustimmend:

„Ja, die neuen Songs sind noch technischer und brutaler als alles was Behemoth jemals zuvor gemacht haben. Wir haben vor und während des Kompositionsprozesses zum Album natürlich wie immer geübt wie die Irren und wollten uns einmal mehr weiterentwickeln, und unsere anspruchsvollen künstlerischen Ziele für `The Apostasy` konnten wir auch allumfassend erreichen. Das nächste Behemoth-Album wird auf jeden Fall noch um ein Vielfaches brutaler und extremer werden, auch technisch will ich noch einen Zahn zulegen. Die Brutalität in den Medien legt schließlich auch ständig zu.“

Und der in sich auffallend gefestigte Pole lässt es sich anschließend nicht nehmen, das aktuelle Todespostulat allen Ernstes als das bisher beste Resultat der Gruppe überhaupt zu titulieren, wohl wissend, dass solch eine Aussage mittlerweile so abgeschlafft anmutet wie ein lädierter Fußball nach WM-Saisonende.

Doch das ist ihm, dem beeindruckend Unbeirrbaren, sowieso stets egal.

Für ganz und gar nicht irrelevant befindet er jedoch die gegenwärtige Weltsituation:

„Schrecklich, wie sich das alles zum Negativen entwickelt. Ich reflektiere mit meinen neuen Songtexten auf dem Album all die grässlichen und abscheulichen Eindrücke, welche tagtäglich über die Massenmedien all den Menschen auf unserem Planeten ins Bewusstsein eingetrichtert werden. Ich hasse dies wirklich über alles, oft machen mich die ganzen Grausamkeiten auch richtig tieftraurig. Manchmal kann ich es mir gar nicht mit anschauen, wie dieser ganze Scheiß ganztäglich über die globalen Bildschirme flimmert beziehungsweise über Radio und Fernsehen sogar Milliarden von Kindern und Heranwachsenden in die Psychen gemeißelt wird. Da muss ich mir eben Luft machen, immer dringender.“

Und dies kommt auch absolut in den neuen Lyriken zum Tragen, für die Nergal jedoch nach wie vor allerlei kryptisch anmutende Metaphern benutzt.

Direkt auf den Punkt kommende Zeilen mag er einfach nicht, wie er sagt, denn der Hörer soll die Liedertexte lesen und darüber nachdenken.

„Nur durch intensives Nachdenken beziehungsweise ehrliche mentale Reflektion seiner Umwelt erreicht der Mensch dauerhafte charakterliche Wertemaßstäbe, mit denen er sein Leben bestmöglich eigenständig gestalten kann.“

Die hauptsächliche Botschaft des aktuellen Albums lautet laut Auskunft des Gitarrengurus somit:

„Besinne dich auf deine Stärken, denke eigenständig, lass´ dir nichts vormachen und lass dich vor allem nicht zu Dingen zwingen, die du nicht magst! Es ist doch der blanke Wahnsinn, wenn man bedenkt, wie weit die weltweite geistige Entmündigung der Menschheit in Wirklichkeit schon vorangeschritten ist. Den Leuten wird eine scheinbare (Konsum)Freiheit vorgegaukelt, für die sie allerdings eigenes Denken und persönliche Ansichten weitgehend aufgeben müssen. Die Betonung liegt dabei allerdings auf `müssen`.“

Chef Nergal ist, wie der Autor dieser Zeilen, glücklicherweise immun gegen derlei massenmediale Manipulation.

Der Kerl wird ja demnächst 40 Jahre alt, und noch immer bewundert er vor allem Slayer, die ihre Sache auch jenseits des Alters von 40 noch mit riesengroßem Hass im Herzen machen.

Wir erfahren: „Gerade deren letztes Album war wohl eines der gehässigsten Alben der letzten Jahre überhaupt. Slayer sind mir daher auf vielerlei Ebenen Vorbild und werden es auch bleiben. Wir spielen demnächst mal wieder mit ihnen zusammen, darauf freue ich mich wie immer schon sehr.

Abgrundtiefen Hass, ja, den trägt dieser polnische Ausnahmemensch tief im edlen Herzen, und den kultiviert er auch nach Kräften.

Eigentlich wollte er irgendwann aufhören mit dem Hassen, doch das ist ihm einfach nicht möglich, so Nergal.

Nur ein Beispiel für diesen Umstand: Bei ihrer ersten Konzerttour durch den Balkan kamen Behemoth seiner Aussage nach auch nach Serbien und Kroatien, und die Musiker sahen dort all die noch immer ziemlich zerbombt dastehenden Häuser:

„Es sieht wirklich erbärmlich aus dort, was einen unweigerlich wütend macht“, so der Gitarrenquäler. Die Besucher der dortigen Konzerte zählten zum wildesten und leidenschaftlichsten Publikum, welches er je erlebte. Es ereigneten sich immer wieder wüste Schlägereien im Auditorium, Aggression von seltener Intensität. „Der durchlebte Krieg beziehungsweise seine Grausamkeiten lebt noch immer in den Psychen der Menschen auf dem Balkan fort.“

Auf zwischenmenschlicher Ebene waren sie aber die liebsten und nettesten Menschen, die der Saitenartist je getroffen hat, wie er sich erinnert:

„Viele erzählten uns ohne Umschweife von ihren persönlichen Nöten, Erfahrungen, Sehnsüchtigen und Hoffnungen sowie von ihren schlimmen Kriegserfahrungen. Und auch diese Kriege sind eben letztendlich durch die verdammten Religionen entstanden und mittels dieses Beweggrundes von den perfiden Machthabern massiv gefördert worden.“

Kampfsport macht er nun nicht mehr, da er keine Zeit mehr hat, fit halten ihn allein die ganzen Touren und das Musikmachen. Nergal erzählt mir in aller Offenheit:

„Daher habe ich auch keine eigene Familie mit Kindern und dem ganzen Drumherum. [lacht herzlich] All die ständigen Touren, das Songwriting der komplizierten Behemoth-Songs, das Band-Marketing, die ganzen weltweiten Kontakte nehmen den überwiegenden Großteil meines Zeit-Kontingents ein. Ich habe aber ungefähr 15 Freundinnen, und die haben alle sechs Saiten. Ich bin ständig am Komponieren und Ausarbeiten neuer Lieder.“

Sein Vater, welcher ihm in der Vergangenheit die ganzen wuchtigen Metall-Accessoires für die Behemoth-Bühneshows wie beispielsweise dicke Nietenbleche etc. angefertigt hat, überlässt dies mittlerweile auch Anderen, so Nergal.

Als Behemoth in den frühen 1990ern anfingen, ihre groben Tiraden zu veröffentlichen, reihten sich die Polen noch nahtlos in die damalig aufkeimende Black Metal-Bewegung ein.

Mittlerweile ist davon sowohl in der Musik als auch in den Mündern der Fans nichts mehr zu hören.

Der umtriebige Gitarrist will seine Musik aber ohnehin zu keiner Zeit gerne kategorisiert wissen:

„Ich denke da überhaupt nicht drüber nach, wozu auch? Denn ich mache nicht nur auf musikalischer Ebene stets exakt das, was aus meinem Innersten zu mir spricht beziehungsweise was es mir als Künstler gebietet. Übereifrigen Szenegängern und unbedarften Pseudo-Musikjournalisten, die uns heute als trendhungrige 0815-Death Metal-Combo darstellen wollen, sei gesagt, dass wir auf der Bühne noch immer unsere teilweise 15 Jahre alten Demo-Songs zocken. Mehr muss ich hierzu ja wohl nicht sagen.“ Gewiss nicht.

Demnächst stehen erst mal einige weltweite Touren an, natürlich in Polen, dann auch Europa an sich mit einer Vielzahl an Festivals, sowie in USA mit entsprechend artverwandten Kapellen aus dem Genre. Er schließt ab:

„Ich werde weiterhin all meine Leidenschaft und all mein Herzblut in Behemoth investieren, denn die Band ist zu meinem Leben geworden, und das wird sich, solange ich körperlich und geistig dazu fähig bin, nicht ändern. Ich werde die gewaltige Behemoth-Maschine also solange als möglich am Leben erhalten.“

© Markus Eck, 05.06.2007

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